Nein, ich will mich hier jetzt nicht bloßstellen und öffentlich beschimpfen! Ich habe tatsächlich eine Meise, nicht im Kopf sondern eher auf dem Kopf oder mal ehrlich am Hals. Manche zeigen mir tatsächlich den Vogel, wenn ich ihnen von unserer Meise erzähle. Also irgendwie passte das Sprichwort schon, wenn sie an meine Situation gedacht haben. Meine Freundin sagte ganz belustigt: „Eva, was du dir mal wieder ans Bein bindest, typisch… Ist das der neue Grund um nicht für deine Prüfung zu lernen?“ Ja, ich hab mal wieder ne super Ausrede und die ist mir fast zugeflogen, nur fast denn flattern konnte der kleine Piepmatz noch nicht. Den Flug vom Dach der Turnhalle auf den Boden im Schulhofgarten unserer großen Tochter, den hat er geschafft und überstanden. Die Mädchen haben ihn ganz aufgeregt gefunden und meine Tochter berichtete allen ganz stolz, dass ich mich mit Vögeln auskenne. Ähm ja, wo sie Recht hat, hat sie Recht…
Die Sekretärin rief bei mir an und bat um Hilfe und da ich Vögel gerne mag und mein Job „Lebensfreude“ ist, hab ich mich doch gleich in die Freude gestürzt diesem kleinen Piepmatz das Leben zu versüßen, meiner Tochter einen Wunsch zu erfüllen und ihn für eine kurze Zeit zur Pflege aufzunehmen.
Gesagt getan, stand ich 5 Minuten nach dem Anruf bereits in der Klasse und holte den kleinen Springer ab. Er muss schon ein paar Tage alt gewesen sein, denn er war bereits befiedert. Noch nicht überall, aber so dass er bei geschlossenen Flügeln schon ziemlich bedeckt aussah. Nur wenn er die Flügel hob, sah man den nackten Bauch den er aber schnell wieder mit seinem Federkleid bedeckte um nicht zu frieren.
Ich nahm ihn also mit, stellte ihn in die Sonne und flitzte los, um mich um sein Essen für die kommenden Tage zu kümmern.
Was frisst eine Meise?
Gedacht hatte ich an Würmer, lebendig natürlich, erhalten habe ich spezielles Trockenfutter da es keine Würmer in dem Zoohandel gab. Also ging es ab in den Garten und fleißig Regenwürmer suchen. Ich hätte nie gedacht dass ich so brutal sein könnte und Regenwürmer in kleine Teile zerteilen würde, aber klein Piep schrie so laut vor Hunger, dass ich ihm schnell den Schnabel stopfen wollte. Ganz so einfach war es dann nicht die sich noch bewegenden Wurmteile in den Schnabel zu stopfen, denn er öffnete ihn nicht. Kein Bitten und Betteln ließ ihn den Schnabel öffnen. Ganz zufällig ließ ich die kleine Futterschale mit dem Trockenfutter auf den Tisch plumpsen und zack – der Schnabel öffnete sich und ein oranger Rachen kam zum Vorschein. Dass so ein kleiner Vogel so einen großen Nahrungseingang hat, ist schon erstaunlich.
Ich gab ihm Futter und machte ein schmatzendes Geräusch, damit er sich ab sofort an dieses gewöhnen konnte und ich nicht immer den Behälter ein Geräusch erzeugen lassen müsste.
Der Kleine war super hungrig, ich kam zu nichts anderem als Würmer im Garten suchen und ihn zu füttern. Alle 30 bis 60 Minuten fing das Geschrei von neuem an und zwischendurch kletterte er auf meine Hand und liebte es in meiner geschlossenen Faust zu schlafen. Tja, wer es sich leisten kann und seinen Job ernst nimmt lässt das Tier die Lebensfreude ebenfalls genießen. Couchsurfing wird für Vögel einfach in Faustsurfing umbenannt. Da ich aber auch noch ein wenig schlafen wollte, habe ich dem Kleinen ein Nest aus Stoffresten und einer Socke in einer Holzkiste gebaut, ihn hineingesetzt mit einem Geschirrtuch ein wenig abgedeckt und eine Schreibtischlampe über ihm angemacht, damit ihm auch nachts schön warm war. Um 24 Uhr gab es das letzte Mahl, die nächste Zwischenmahlzeit um 3 Uhr und morgens um 5.30 Uhr ging es wieder los mit dem bisherigen Rhythmus von ca. 45 Minuten Fütterungsintervall.
Ein Glück hat meine Tochter auch Schichten übernommen, denn so müde war ich das letzte Mal als unsere Mädels Babys waren.
Die Regenwürmer gingen mir im Garten langsam aus und ich besorgte Angelmaden. Diese waren klein genug um sie zu verfüttern, aber irgendwie wollte die kleine Meise diese nicht. Drei Stück hatte sie verspeist aber eher ungern. Ich schaute im Internet und stellte fest, dass Maden ungeeignet für Vögel sind, weil sie sich durch die Magenwand fressen. Frustration kam auf, ich surfte bis zwei Uhr nachts um herauszufinden was ich denn noch geben sollte, damit das kleine Vögelchen gesund ernährt wurde. Nach langem hin und her legte ich fest ihn in eine Tierauffangstation abzugeben, da sich dort das Personal sicher besser auskennt als ich und das letzte was ich wollen würde ist ein Vogel der bei uns sterben würde. Am Tag als Piep bei uns einzog, hatte ich bereits unseren Tierarzt gefragt ob er ihn nehmen würde, aber er verneinte.
Piep ist uns in der Zwischenzeit ans Herz gewachsen, aber wie mir von Fachpersonal der Auffangstation mitgeteilt wurde, nehmen diese keine junge Vögel auf und es sei sogar verboten diese überhaupt mit nach Hause zu nehmen. Er gab uns den Tipp noch mal an der Fundstelle den kleinen Piep der mittlerweile richtig proper geworden ist auszusetzen und abzuwarten, oftmals nehmen die Eltern ihre Jungen noch nach Tagen zurück. Da sie schlechte Geruchsnerven haben, merken Vögel auch Fremdgeruch an ihrer Brut nicht. Es sei eine Falschannahme, dass Vogeleltern ihre Jungen aufgrund des fremden Geruchts nicht zurück nehmen würden.
Mit schwerem Herzen konnte ich unsere Tochter überzeugen den Test zu starten. Es gab keinen Plan B. Damit Piep überleben konnte und alles lernt was für ihn als Vogel wichtig ist, muss er zurück zu seiner Familie. Würden wir ihn behalten, könnten wir ihn nicht wieder in der Natur aussetzen, da er fehl geprägt wäre, zu zutraulich und wir ihm auch nicht beibringen könnten wie er Nahrung findet, vor wem er vorsichtig sein muss…
Unter Tränen brachten wir ihn weg. Ich erklärte unseren Töchtern, dass die Eltern ihn sicher vermissen und sich bestimmt riesig freuen, wenn sie ihr Baby wieder haben, vorstellen konnte ich mir jedoch noch nicht, dass sie den Kleinen zurück nehmen würden.
Kaum hatten wir ihn hungrig ausgesetzt, begann er schon laut zu piepen und lief durch die Büsche. Wir bemerkten, dass sich erwachsene Meisen in der Nähe befanden und das Spektakel beobachteten. Es vergingen keine 15 Minuten und die Eltern nahmen ihr Junges zurück und begangen sofort seinen Hunger zu stillen. Ich bin ihnen sehr dankbar und höchst erfreut, dass der Kleine wieder bei seiner Familie ist und jetzt auch stark genug um am Boden zu überlegen, bis er es lernt selbst zu fliegen.
Aber seht selbst, es waren wunderbare Augenblicke mit ihm. Wir haben die Zeit genossen und wir waren erfreut, dass ihn seine Eltern wieder angenommen haben.
Solltest du mal einen Babyvogel finden, dann schau dich erst um, ob nicht doch irgendwo die Vogeleltern sind. Meist sind sie nicht weit und kümmern sich um das Kleine auch wenn es bereits das Nest verlassen hat. Meine Tochter hatte angenommen, dass er es nicht überleben würde, da er neben einem anderen toten Vogel gelandet war. Sie hatte vor Aufregung gar nicht bemerkt, dass die Vogeleltern nicht weit waren. Wer weiß wofür das alles gut war, zumindest dafür um jetzt zu wissen, dass Jungtiere nur im Notfall wenn die Eltern offensichtlich verstorben sind für eine Handaufzucht zu sich genommen werden dürfen, ansonsten sollte man sie einfach nur in das nächste Gebüsch setzen.